Erfolgreiche Biotop-Neuanlage - Erweiterungsfläche des NSG Rosengarten in Gundersheim
Neuer Lebensraum wird geschaffen und der Verlust der Biodiversität wird umgekehrt
Das Gutachten von Dr. Axel Schönhöfer aus dem Jahr 2024 vergleicht die Kartierungsergebnisse der Jahre 2020, 2021 und 2023 und fasst die floristische Entwicklung - und teilweise auch aus dem Jahr 2024 - zusammen.
Auszüge aus dem Gutachten:
Kurzfassung:
Im Rahmen des Entwicklungsmonitorings der Ausgleichfläche Erweiterungsfläche am NSG„Kalksteinbrüche Rosengarten“ bei Gundersheim, werden Kartierungsergebnisse der Gefäßpflanzen aus den Jahren 2020, 2021 und 2023 verglichen. Es zeigt sich eine graduelle Zunahme des Gesamtartenzahl, die mit 204 Arten für rheinhessisches Grünland sehr hoch ist. Sie begründet sich auf der guten Wahl der Zielfläche, der Freilegung des Kalkfelsplateaus als Sonderstandort und Einsaat mit Mahdgut aus artenreichen Spenderflächen. Die Zahl der gefährdeten Arten ist für eine nur 5 Jahre entwickelte Fläche beachtenswert. Insgesamt wurden 2023 in den Kategorien 1 bis 3 der Roten Liste Rheinland-Pfalz 21 Arten, bei Hinzunahme der Vorwarnliste 51 Arten gefunden, und nur 2 Arten der früheren Kartierungen nicht mehr bestätigt. Der Hauptteil seltener Arten fand sich auf dem nur 10 % des Gesamtareals umfassenden Kalkfelsplateau. Etwa 50 % des ca. 3 Hektar großen Gebietes lassen sich bereits als Fauna- und Flora-Habitat-Lebensraumtypen mit hohen Kennartenzahlen ansprechen. Die Fläche ist ein Paradebeispiel, um mit guter Planung, effektiver Erstanlage und angepasster Pflege hochwertige Lebensräume neu zu schaffen und den Verlust von Biodiversität umzukehren.
Lage der Erweiterungsfläche und Ausgangssituation
2018 bestand die Möglichkeit eine an das Naturschutzgebiet (NSG) „Kalksteinbrüche Rosengarten“ bei Gundersheim (NSG Rosengarten) nordöstlich angrenzende, 2,78 Hektar umfassende Parzelle zu erwerben ... Der Flächenankauf wurde durch den Landkreis Alzey-Worms über die Stiftung Natur und Umwelt Rheinland-Pfalz (SNU) mit Mitteln aus Ersatzzahlungen (Kompensation für Windkraftanlagen) finanziert. ... Die Entwicklungsfläche ist ihrerseits an drei Seiten durch das NSG und angrenzende Hecken begrenzt. Durch leichte Hanglage und abgrenzende Wege ist sie zudem vor Nährstoffeinträgen aus der Landwirtschaft geschützt.
Entwicklungskonzept und Flächenvorbereitung
Die Untere Naturschutzbehörde (UNB) der Kreisverwaltung Alzey-Worms vereinbarte ein 15-jähriges Entwicklungskonzept mit der Kreisgruppe Wonnegau des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND Wonnegau). Entwicklungsziel ist die Neuanlage und Erhaltung von artenreichen Grünland-Gesellschaften.
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Solche flachgründigen Kalksteinplateaus sind die Lebensgrundlage für die artenreichsten Biotope im benachbarten NSG, Trespen-Halbtrockenrasen mit gefährdeten und geschützten Arten wie der Gewöhnlichen Küchenschelle (Pulsatilla vulgaris), Ohrlöffel-Leimkraut (Silene otites), Büschel-Miere (Minuartia mucronata), Schmalblättrigem Lein (Linum tenuifolium) und Scheerers Ehrenpreis (Veronica satureiifolia). Speziell diese Lebensräume sollten erweitert und die oft nur noch wenige Individuen umfassenden Populationen dieser seltenen Arten gefördert werden. Zu diesem Zweck wurde 2019 die obere Erdschicht im Bereich der Felskuppen auf der Erweiterungsfläche mittels Planierraupe abgeschoben, bis die ersten Felsstrukturen und heller, humusarmer Boden zum Vorschein kamen ...
Anlage der Vegetation mittels Mahdgut-Übertragung und Entwicklungs-Pflege
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Auf diese unbewachsenen Flächen wurde ab Sommer 2019 selektiv frisch gemähtes Material der Biotope des NSG Rosengarten gebracht und verteilt. ... Bereits 2020 zeigte sich die Entwicklung als sehr erfolgreich und ermutigte zu selektiver Förderung einzelner Arten. So wurden beispielsweise die Gewöhnliche Küchenschelle (Pulsatilla vulgaris), Büschel-Miere (Minuartia mucronata) und Scheerers Ehrenpreis (Veronica satureiifolia) zusätzlich in Topfkultur vorgezogen und selektiv auf der Abschiebefläche gepflanzt, bzw. die Büschel-Miere großflächig ausgesät. Andere Arten etablierten sich von selbst und wurden händisch beerntet und auf noch nicht besiedelte Stellen verteilt. ...
Methodik der Kartierungen 2020, 2021 und 2023
Erste Vegetationserfassungen fanden in kleinerem Rahmen im Auftrag des BUND Wonnegau bereits 2020 und 2021 statt. Sie dienten vorwiegend den Entwicklungsstand der Fläche zu beobachten und Hinweise auf die weitere Pflege und Entwicklung zu geben. ... Im Auftrag der UNB Alzey-Worms und der SNU wurde 2023 eine umfangreiche Kartierung mit Foto-Dokumentation durchgeführt, um den 5-Jahres-Zustand des Projekts festzuhalten. ...
Entwicklung der Artenzahl über die Zeit
... Nichtsdestotrotz zeigt die Entwicklung der Artenzusammensetzung eigentlich nur einen stetigen Trend nach oben und dies sowohl in der Gesamtartenzahl, als auch in jeder betrachteten Rote Liste-Kategorie. Im Laufe der Grünlandentwicklung sind nur 29 Arten (12 %) wieder verloren gegangen, 20 davon erwartbar, da sie zu den Ackerwildkräuter oder Brachfeld-Arten gehören und im Laufe der Sukzession natürlich verschwinden. Dieses Ergebnis ist bemerkenswert, da in einer frühen Entwicklungsphase die Artenzahl auf neu angelegten Grünlandflächen aufgrund der Überlappung verschiedener Sukzessionsgesellschaften zuerst deutlich zunimmt und dann wieder abfällt. So wachsen zuerst Ackerwildkräuter und Brachfeld-Arten auf und werden nach wenigen Jahren von den ausdauernden Wiesenarten verdrängt. Betrachtet man die gesamte Erweiterungsfläche, so finden sich jedoch noch immer große Bereiche mit Brache-Zeigern, die aufgrund der gestaffelten Mahdgut-Ausbringung noch nicht durch Konkurrenz mit den Wiesenarten verdrängt wurden. Selbst Ackerwildkräuter sind in geringer Individuenzahl und punktuell noch zu finden, so dass die Schlussfolgerung naheliegt, die Entwicklung zum Grünland als noch nicht abgeschlossen zu sehen. Auch bei Betrachtung der Wiesenstrukturen ist diese Entwicklung noch im Gange und erst in ein paar Jahren mit Abnahme der Ackerwildkräuter und Brachfeld-Arten zu rechnen.
Betrachtung der gefährdeten und geschützten Pflanzenarten
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Dem gegenüber steht der durchweg positive Trend in der Zunahme seltener Arten auf der
Erweiterungsfläche in jeder Gefährdungskategorie. Wird die Rote Liste-Kategorie „V“ (früher „4“) hinzugenommen, so findet sich ein Spitzenwert von 51 gefährdeten Arten auf der Erweiterungsfläche. Der Wert der Abschiebefläche kann dabei nicht genug betont werden. Von den stärker gefährdeten Arten der Kategorie 1 bis 3 finden sich 16 von 22 Arten (73 %) ausschließlich auf diesem kleinen Areal und unterstreichen die Bedeutung dieses Sonderstandortes für den Artenschutz. Nur 2 Rote Liste-Arten (5 %) konnten 2023 nicht mehr gefunden werden. Sie gehören zur Ruderalflora, deren Ausfall erwartbar war. Der zur Gruppe der schwer bestimmbaren Schwingel gehörende Walliser Schwingel (Festuca valesiaca) war in den vorherigen Kartierungen nur in einem Exemplar vertreten und konnte erst 2024 wieder lokalisiert werden.
Rote Liste 1 (vom Aussterben bedroht): Aktuell wurden zwei Arten der Roten Liste-Kategorie 1 gefunden.
Rötliche Fingerkraut (Potentilla heptaphylla)
Acker-Schwarzkümmel (Nigella arvensis).
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Rote Liste 2 (stark gefährdet): In 2023 und 2024 wurden 10 Arten dieser Kategorie gefunden.
Großes Windröschen (Anemone sylvestris)
Duvals Schwingel (Festuca duvalii)
Walliser Schwingel (Festuca valesiaca) (2024 nachgewiesen)
Gewöhnliche Kugelblume (Globularia bisnagarica)
Büschel-Miere (Minuartia mucronata)
Graue Skabiose (Scabiosa canescens)
Ohrlöffel-Leimkraut (Silene otites)
Gefurchtes Rapünzchen (Valerianella rimosa)
Scheerers Ehrenpreis (Veronica satureiifolia)
Elsässer Haarstrang (Xanthoselinum alsaticum)
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Rote Liste 3 (gefährdet): Aktuell sind 10 Arten dieser Kategorie zu finden. U.a.
Kelch-Steinkraut (Alyssum alyssoides)
Gewöhnliches Sonnenröschen (Helianthemum nummularium)
Schmalblättriger Lein (Linum tenuifolium)
Acker-Wachtelweizen (Melampyrum arvense)
Große Braunelle (Prunella grandiflora)
Gewöhnliche Küchenschelle (Pulsatilla vulgaris)
Unterart pratensis der Wiesen-Skabiose (Scabiosa columbaria)
Frühblühende Thymian (Thymus praecox)
Großen Ehrenpreis (Veronica teucrium)
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Rote Liste V oder 4 (Vorwarnliste) und geschützte Arten: Aktuell 32 Arten ... Die Arten dieser Liste sind dem Anhang zu entnehmen. Insgesamt sind acht der auf der Erweiterungsfläche nachgewiesenen Arten nach Bundesnaturschutzgesetz besonders geschützt:
Großes Windröschen (Anemone sylvestris)
Kartäuser-Nelke (Dianthus carthusianorum)
Feld-Mannstreu (Eryngium campestre)
Gewöhnliche Kugelblume (Globularia bisnagarica)
Österreichischer Lein (Linum austriacum)
Schmalblättriger Lein (Linum tenuifolium)
Wiesen-Primel (Primula veris)
Gewöhnliche Küchenschelle (Pulsatilla vulgaris)
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[Anmerkung der Redaktion: Informationen zu Verantwortungsarten, Neophyten, zu Arten mit negativem Populationstrend sowie zu weiteren bemerkentswerten Arten sind im vollständigen Gutachten nachzulesen]
Entwicklung der Wiesen und Pflanzengesellschaften
Die Entwicklung der verschiedenen Grünland-Gesellschaften schreitet allgemein sehr gut voran. Der ehemalige Ackerboden hat sich weitgehend gesetzt und fast alle in der Anfangsphase dominierenden Ackerwildkräuter und Ruderal-Arten sind verschwunden. Kennzeichnend für diese erste Phase waren beispielsweise eine reiche Mohnblüte, Kompass-Lattich und verschiedene Disteln. Nur an wenigen Stellen zeigen sich noch Ackerwildkräuter, so im Bereich der ehemaligen Ackerwildkrautfläche und an Störstellen der unbefestigten Feldwege. Sehr weit fortgeschritten ist die Wiesenbildung mit ausdauernden Arten im oberen, südlichen Bereich bis etwa zur Mitte der Fläche, sowie entlang des Ostrandes. Hier finden sich so gut wie keine ruderalen Arten mehr und die Vegetationsnarbe ist dicht geschlossen.
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Im Bereich der Abschiebefläche ist in wenigen Jahren ein absolut hochwertiges Biotop entstanden, auf dem sich der Großteil seltener Arten drängt. Viele Pflanzenarten sind hier in kleinen Bereichen konzentriert und die Besiedlung ist noch lange nicht abgeschlossen.
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Naturschutzfachlich gliedert sich die Erweiterungsfläche in den Bereich der Abschiebefläche und die übrigen, nährstoffreicheren Wiesengesellschaften. Beide differenzieren sich bereits in verschiedene Pflanzengesellschaften. Im Osten sind bereits gut entwickelte, für Rheinhessen typische Glatthaferwiesen ausgebildet. Sie erfüllen mit 48 lebensraumtypischen Arten die Kriterien, und sind nach Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der EU als FFH-Lebensraumtyp (FFH-LRT) 6510 Magere Flachland-Mähwiesen einzustufen. Im mittleren, unteren Teil sind sie ebenfalls in Ausbildung, benötigen jedoch noch wenige Jahre um sich vollständig zu schließen. Sie gehen am oberen Rand im Schutz der Hecke zum NSG in eine breite Saumgesellschaft mit Übergängen zum Halbtrockenrasen und Steppenrasen über, und vermitteln zu den Gesellschaften der Abschiebefläche. ... Damit erreichen mindestens 50 % der Erweiterungsfläche bereits nach 5 Jahren Entwicklung die höchstmögliche Schutzkategorie in Europa. ...
Ausblick und Pflegehinweise
Alle gefundenen Wiesengesellschaften besitzen noch großes Potential zur Differenzierung und Aufnahme weiterer Arten. Die bisher vorgefundene Pflanzenvielfalt zeigt bereits das hohe Standortpotential für die Ausbildung selbst extremster und wertvollster Lebensräume. In diesem Sinne können die im Nordteil der Fläche noch ruderalen, undifferenzierten Bereiche als Chance verstanden werden weiteres Material artenreicher Wiesen einzubringen, um diese Möglichkeit weiter auszuschöpfen. ...
Auf der Abschiebefläche ist noch erhebliches Potential für die Ausbreitung einzelner Arten, die aktuell nur sehr lokal etabliert sind. Sie ist aufgrund ihres niedrigen Aufwuchses nur mit Kleingeräten sinnvoll zu pflegen. Zum langfristigen Erhalt, sollten regelmäßig verfilze Bereiche und zu dichter Bewuchs und Polsterstauden gemäht und bis auf die Bodennarbe geschnitten werden. Hierbei sind immer wieder Offenbereiche für die seltenen Therophyten und Felsgrus-Besiedler zu schaffen. Besonders in den Randbereichen kann durch eine regelmäßige scharfe Mahd der Boden ausgemagert und die Wuchszone des Steppenrasens vergrößert werden.
Abschließend kann dem BUND Wonnegau eine gute und umsichtige Anlage und Pflege der Fläche attestiert werden. Neophyten werden gezielt bekämpft und sind bisher unproblematisch. Die Mahd wird den jährlichen Verhältnissen angepasst und Bereiche mit hohem Aufwuchs mehrmals im Jahr geschnitten, um die Flächen auszuhagern. Die Mahd erfolgt in allen Bereichen gestaffelt, und lässt so immer Rückzugsmöglichkeiten für Insekten und andere Kleintiere. Die Fläche wurde bereits auf Schmetterlinge untersucht und gilt als eine der wertvollsten Neuanlagen in Rheinhessen (E. Opper, W. Düring, BUND Wonnegau). Die Verwendung des Schnittgutes als Bodenverbesserer, lenkt den massiven Nährstoffeintrag in die Landschaft auf landwirtschaftliche Flächen um, und spart damit künstlichen Dünger ein. Und nicht zuletzt wird die Fläche regelmäßig für Umweltbildung und Exkursionen genutzt.
Im Sinne der EU-Biodiversitätsstrategie für 2030 ... weist sie den Weg für eine fachgerechte Neuanlage von wertvollen Lebensräumen. Die Erweiterungsfläche am NSG „Kalksteinbrüche Rosengarten“ ist ein Vorzeigeprojekt und wurde wohlverdient bereits 2020 im Rahmen der UN-Dekade Biologische Vielfalt ausgezeichnet.
Danksagung
Mein herzlicher und nachhaltiger Dank gilt Daniel Steffen, der mit seiner beharrlichen Arbeit die Idee für das Projekt entwickelt und seine Umsetzung verwirklicht hat. Er stand mir immer für Auskünfte zur Verfügung und begleitete mit Interesse und Ideen viele Exkursionen und Kartierungen. Nicht weniger sei den vielen helfenden Händen der aktiven Kreisgruppe Wonnegau des BUND gedankt, die ihrer Region ein so wertvolles Stück Natur zurückgegeben haben. Und nicht zuletzt sei der Stiftung Natur und Umwelt und der Kreisverwaltung Alzey-Worms für die Projekt-Finanzierung und die Erlaubnis zur Publikation der Kartierungsergebnisse gedankt.